Hass lässt sich nicht mit Hass besiegen. Für die Friedensaktivisten von „Solutions Not Sides“ ist dies einer der Grundsätze ihrer Arbeit. Will man eine Lösung im Konflikt zwischen Israel und Palästina erreichen, muss man die Gewaltspirale durchbrechen und die Interessen beider Konfliktparteien berücksichtigen. Das ist die zentrale Botschaft, welche die politisch unabhängige Nichtregierungsorganisation „Solutions Not Sides“ den Menschen im Nahen Osten, aber auch in Europa und in den USA vermitteln will. Auf ihrer Tour durch Deutschland besuchten vier Vertreter von „Solutions Not Sides“ am Donnerstag, den 28. Juni 2018,auch das Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium und veranstalteten dort Workshops für die 11. Jahrgangsstufe.
Sicherlich wissen die Schüler/innen der Q11 bereits Einiges über den Nahostkonflikt aus dem Geschichtsunterricht und auch aus den Berichten der Medien, doch nun erhielten sie im Rahmen des von den Lehrkräften Matthias Haberl und Susanne Liebl organisierten Workshops „International Peacekeeping – insight into an non-governmental organization and discussion of Israeli-Palestinian conflict“der NRO „Solutions Not Sides“ die einmalige Gelegenheit, ihr theoretisches Wissen im (englischen) Gespräch mit Vertretern aus der Konfliktregion zu vertiefen.
Nachdem Sharon Booth, Leiterin des Bildungsprogramms von „Solutions Not Sides“, gemeinsam mit den Schülern die Hintergründe und Eckdaten des Nahostkonflikts wiederholt hatte, berichteten die 26-jährige Studentin Michal Katoshevsky und der 25-jährige Arzt Ibrahim Nasser Eddinvon ihrem Alltag in Israel beziehungsweise Palästina und von den Auswirkungen, die der Nahostkonflikt auf ihr Leben hatte und hat – Einblicke in den seit Jahrzehnten bestehenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, die wohl selbst der beste Unterricht nicht zu vermitteln vermag; die Erlebnisse der beiden „Solutions Not Sides“-Mitarbeiter beeindrucken nachhaltig.
Ursachen des Nahostkonflikts trotz ständiger Angst vor Anschlägen von vielen Israelis ausgeblendet
So erzählte Michal, die in Beer-Sheva im Süden Israels lebt und auch dort studiert, dass ihre Großeltern sämtliche Familienmitglieder im Holocaust verloren haben und nachdem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Israel bzw. Palästina auswanderten. Aufgrund dieser Erfahrung herrscht in ihrer Familie die Überzeugung vor, dass sie sich glücklich schätzen können, dass der 1948 gegründete jüdische Staat Israel existiert, da Juden dort nach jahrhundertelanger Verfolgung endlich in Sicherheit und Frieden leben können. Der Konflikt der Israelis mit den Palästinensern allerdings wird von ihrer Familie trotz der stets vorhandenen Angst vor Anschlägen und Selbstmordattentaten weitgehend ausgeblendet, und auch an israelischen Schulen wird diese Thematik nicht gelehrt, was die Schwandorfer Gymnasiasten sichtlich verwunderte, wie die zahlreichen Nachfragen zeigten. Deshalb ist Michal erst im Alter von 19 Jahren mit dem Beginn ihres Armeedienstes, der in Israel für Frauen und Männer für zwei Jahre verpflichtend ist, wirklich bewusst geworden, dass sich ihr Land in einem ständigen Konflikt mit dem palästinensischen Volk und den arabischen Nachbarstaaten befindet und warum die Israelis von der palästinensischen Bevölkerung als Besatzungsmacht wahrgenommen und bekämpft werden. Darüber hinaus berichtete sie, dass sie sich erstmals mit 23 Jahren wirklich von Angesicht zu Angesicht mit einem Palästinenser unterhalten hat, vorher kannte sie – wie die meisten Israelis – Palästinenser nur aus Medienberichten und von ihrem Militärdienst, und das, obwohl 20% der israelischen Staatsbürger Palästinenser sind. Nicht zuletzt diese Erfahrungen haben Michal, wie sie verdeutlichte, dazu bewogen, sich mit ihrer Arbeit für „SolutionsNot Sides“ für Frieden in Israel und Palästina zu engagieren, um auf diese Weise einen Wandel zu bewirken und sowohl dem israelischen als auch dem palästinensischen Volk eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Kindheit und Jugend von Ohnmacht und Unsicherheit geprägt
Ähnliche Motive liegen auch dem Engagement des palästinensischen Friedensaktivisten Ibrahim Nasser Eddin zugrunde. Ausschlaggebend für seinen Einsatz für „Solutions Not Sides“ ist aber zudem ein Erlebnis in seiner Jugend, von dem Ibrahim den Schüler/innen der Q11 erzählte. Geboren und aufgewachsen in Ostjerusalem, dem palästinensischen Teil Jerusalems, besuchte er eine palästinensisch-amerikanische Privatschule. Die „American School“ befindet sich an der Grenze von Ostjerusalem und Westjerusalem, dem israelischen Teil Jerusalems, weshalb dort ein Checkpoint der israelischen Armee eingerichtet ist. Infolgedessen wurde Ibrahim wie alle seine palästinensischen Mitschüler/innen jeden Morgen auf dem Weg zur Schule ohne ersichtlichen Anlass von israelischen Soldaten kontrolliert, d. h. Schultasche und Kleidung wurden durchsucht, der Ausweis kontrolliert etc. – der normale Alltag palästinensischer Kinder und Jugendlicher. Als Ibrahim 15 Jahre alt war, weigerte sich allerdings eines Tages einer seiner Freunde, seine Schultasche für die tägliche Kontrolle zu öffnen, woraufhin dieser von einem israelischen Soldaten ins Gesicht geschlagen, mit den Füßen getreten und dadurch schwer verletzt wurde. Dieses Gefühl der Ohnmacht und der Unsicherheit war prägend für Ibrahims Kindheit und Jugend, wie er erklärte, und stellt einen der Beweggründe für sein Engagement für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts dar.
Tragfähige Lösung des Nahostkonflikts als Ziel
Im Anschluss an die Berichte der beiden Referenten aus Israel und Palästina über ihre persönlichen Erfahrungen hatten die Schüler/innen die Möglichkeit, Fragen an Michal und Ibrahim über die aktuelle Situation im Nahen Osten, über die Auswirkungen des israelisch-palästinensischen Konflikts auf die Gesellschaft oder auch über die Einstellung der Israelis gegenüber den Deutschen zu stellen, welche Michal und Ibrahim mit einer eindrucksvollen Offenheit und Ehrlichkeit beantwortet haben.
Um die verschiedenen Lösungsansätze für den Nahostkonflikt kritisch beurteilen zu können, zeigten die Referenten den Schüler/innen zudem auf, welche Interessen Israelis und Palästinenser jeweils verfolgen und welche Faktoren bei einem möglichen Friedensabkommen zwischen beiden Konfliktparteien berücksichtigt werden müssen. Dabei hob Sharon Booth hervor, dass es für das Erreichen einer tragfähigen Lösung des Nahostkonflikts zentral ist, die Interessen beider Seiten ernst zu nehmen und Verständnis für beide Positionen zu entwickeln – ein Prinzip, das im Motto von „Solutions Not Sides“ auf den Punkt gebracht wird: „Not simply pro-Israel or pro-Palestine, but pro-solution.“
Ob sie glauben, dass es zu ihren Lebzeiten einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern geben wird, will am Ende des Workshops noch eine Schülerin wissen. Es liegt noch ein weiter Weg vor ihnen, so Ibrahim, aber wenn man etwas erreichen will, muss man dafür einstehen. Sie werden weitermachen – für einen Nahen Osten,in dem es nicht mehr ungewöhnlich ist, dass Israelis und Palästinenser friedlich zusammenleben und gut miteinander auskommen.
Bericht: Susanne Liebl