“Der Gotteswahn” – “Sehnsucht – der Anfang von allem. Dimensionen zeitgenössischer Spiritualität” zwischen diesen beiden Buchtiteln aus den letzten Jahren spielt die geistige Situation unserer Zeit in Europa. Der Ton des zeitgenössischen Atheismus ist aggressiver und zynischer geworden, wie das Werk “Der Gotteswahn” des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins zeigt. Der weltanschaulich deutlich zum Vulgärdarwinismus neigende und selbst mehrfach geschiedene Dawkins macht dabei nicht nur den christlichen Gottesglauben, sondern auch das christliche Verständnis von Liebe und Ehe verächtlich, wenn er in einem Interview mit dem liberalen “Stern” äußert:
“Sich zu verlieben ist eine Art von Wahn. Denn unter all den Partnern des anderen Geschlechts mag es einen geben, der am besten zu uns passt. Aber niemals ist er hundertmal geeigneter als alle anderen. Dennoch blasen wir den Wert des einen über jedes Maß auf, wenn wir uns verlieben. Dafür gibt es aus einer darwinistischen Perspektive gute Gründe. Denn in einer monogamen Art ist es für das Überleben in der Wildnis unverzichtbar, so lange zusammenzubleiben, bis die Nachkommen unabhängig geworden sind. Dazu trägt diese verrückte Art der Liebe bei. Und womöglich nutzt Religion genau dieses Gefühl aus” (Stern 40/2007, S. 40).
Nicht nur in angelsächsischen Ländern ist “Der Gotteswahn” zum Bestseller geworden. Dawkins versucht mit seiner Streitschrift einen grundsätzlichen Angriff auf den jüdisch-christlichen Monotheismus. Seine Argumentation erinnert hierbei fatalerweise an die seiner vermeintlichen Gegner, der amerikanischen Bibelfundamentalisten, die er zum Teil zurecht bekämpft. In seinem Denken lässt er letztlich keine andere als die naturwissenschaftliche, insbesondere biologisch-genetische Sicht der Wirklichkeit gelten (vgl. obiges Zitat). Er vertritt also letztlich selbst einen szientistischen Aberglauben im Geist des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Religionskritik wird selbst zur fundamentalistischen Ideologie. Differenzierte Kritiker sprechen deshalb auch von einem fundamentalistischen Neoatheismus aus darwinistischer Perspektive. Immerhin hat das Buch von Dawkins die Gottesfrage wieder neu aufgeworfen.
In noch problematischerer Weise haben ähnliche Auffassungen wie die von Dawkins in das neuheidnische Kinderbuch “Wo bitte geht´s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel” von Michael Schmidt-Salomon Eingang gefunden. Gegen dieses Werk, das von zumeist erwachsenen Lesern auf Amazon.de zahlreiche positive Rezensionen erfahren hat, hat die als aufgeklärt und liberal geltende Diözese Rottenburg-Stuttgart sogar berechtigterweise Strafanzeige erstattet, da in diesem Buch gleichermaßen die drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam verunglimpft werden. Die polemische Zeichnung jüdischer Menschen erinnert sogar unverkennbar an antisemitische Karikaturen des nationalsozialistisch- rassistischen Propagandablattes “Der Stürmer”.
Der Journalist der “Süddeutschen Zeitung” Alexander Kissler hat sich in seinem überaus lesenswerten Buch “Der aufgeklärte Gott. Wie die Religion zur Vernunft kam” (München 2008) mit dem atheistischen Kinderbuch und den Thesen Dawkins´ und des australischen Moralphilosophen und Befürworters aktiver Euthanasie Peter Singer kritisch auseinandergesetzt. Er macht dabei auf die Folgen einer derartig szientistischen, naturwissenschafts- und z. T. auch technikgläubigen Weltanschauung aufmerksam:
Dawkins, Schmidt-Salomon und Singer “eint nicht nur die Verwerfung des Gottesbegriffes. Sie alle sind auch für maximal liberalisiertes Abtreibungsrecht, für Sterbehilfe, für Embryonenforschung und Klonversuche, für `gender mainstreaming´, die politische Einebnung also der Geschlechterdifferenz, und für eine Abkehr von Naturrecht und Menschwürdedenken zugunsten von Utilitarismus und Interessenethik” (Die Tagespost 29.12. 2007, S.18). Menschsein wird bei diesen Denkern an die Leistungsfähigkeit des Gehirns gebunden. Ein solcher Standpunkt ist in der heutigen Diskussion über das Gesundheitswesen, den Umgang mit behinderten, kranken und alten Menschen und Euthanasie aus christlicher Sicht völlig inakzeptabel. Schüler der Ober- und Mittelstufe sind für eine kritische Auseinandersetzung mit solch einseitig geprägten ideologischen Standpunkten wie denen von Dawkins und Singer offen und sensibel. Dieser neue Atheismus ist aber nicht nur das Hirngespinst weniger Intellektueller, sondern z. T. auch gelebter Alltag in einer von Individualismus und Konsumhaltung bestimmten Gesellschaft. Wiederum zeigt sich, dass die Gottesfrage die entscheidende Kernfrage unserer Zeit ist, was Papst Benedikt XVI. in den letzten Jahren immer wieder betont hat.
Damit ist die geistige Situation unserer Zeit aber keineswegs beschrieben. Es lassen sich auch äußerst vielschichtige Tendenzen einer Wiederkehr der Religion feststellen. Vor allem im Blick auf die Zunahme neuer spiritueller Trends, z. T. auch Gruppen, trifft diese These zu. “Der Katholikentag als spirituelle Tankstelle. Zeitzeichen in Osnabrück: Zen-Meditation und Lebenshilfe sollen zehntausende Besucher anziehen” war kürzlich ein MZ-Artikel zum Katholikentag 2008 (15.05. 2008, S. P4) überschrieben. Das außerordentliche Ansehen des Mönchs und Erfolgsautors Anselm Grün in und außerhalb der Kirche ist ein weiterer deutlicher Beleg für diese Spiritualisierungswelle. Der Kulturanthropologin und Ethnologin Ariane Martin kommt das besondere Verdienst zu, die Dimensionen heutiger Spiritualität in ihrem Gesamtüberblick “Sehnsucht – der Anfang von allem” (Ostfildern 2005) herausgearbeitet zu haben. Dabei hat sie sieben Dimensionen dieser neuen Spiritualität aufgezeigt, für die sich auch weitere Anzeichen und Beispiele im Lebensalltag vieler Menschen finden lassen.

  • die Reise zu sich selbst: die Erfolge der Wellness-Industrie, aber auch von H. P. Kerkelings “Bin dann mal weg” sprechen in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache.
  • die Reise in die weite Welt: Mit der “Reise zu sich selbst” kann sich auch die “Reise in die weite Welt” verbinden. Das in den letzten Jahren in Mode gekommene, häufig auch säkular im Sinne von Selbstfindung verstandene Pilgern z. B. nach Santiago de Compostela ist dafür ein Paradebeispiel (vgl. ebenfalls Kerkelings Buch).
  • Verzauberung: Die antirationale Tendenz zur (Wieder-)Verzauberung lässt sich u. a. am enormen Erfolg der Harry-Potter-Bücher gleichermaßen bei Kindern und Erwachsenen ablesen.
  • Heilung: Heilpraktiker und Therapien haben in den letzten Jahren Hochkonjunktur.
  • Festigkeit: Die Wiederentdeckung von Ritualen und die wachsende Bedeutung von Beratung, Coaching und Lebenshilfe zeigen dies an.
  • Gemeinschaft: Innerkirchlich zeigt sich diese Sehnsucht nach Gemeinschaft auch auf den Weltjugendtagen und im Zulauf von Gruppen wie “Jugend 2000”.
  • Weltverhältnis: Der ethische und ökologische Aufbruch in einem veränderten Umweltbewusstsein, der sich in den letzten 30 Jahren dokumentieren lässt, wurde in diesem Jahr in der Debatte über den Klima- und Artenschutz wiederum deutlich.

Der anerkannte Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner spricht bezüglich dieser gerade umschriebenen Trends von der Notwendigkeit einer empathischen Spiritualitätskritik. Empathie hat mit dem menschlichen Einfühlungsvermögen zu tun und bedeutet in diesem Kontext, dass man die durchaus berechtigten Anliegen dieser sieben oben aufgefächerten Tendenzen zur Respiritualisierung als Christ im Alltag ernst nehmen soll. Kritik heißt dabei jedoch auch, den teilweise esoterischen und christentumsfeindlichen Ansprüchen dieser Strömungen im Geiste aufklärerischer Vernunft klar entgegenzutreten. Beide Entwicklungsrichtungen, sowohl die neu aufkeimende Atheisierung als auch die in sich komplexe Respiritualisierung, laufen in einer Zeit des ausgeprägten weltanschaulichen Pluralismus offensichtlich zeitgleich ab und stellen den einzelnen Gläubigen, die Kirche als Gemeinschaft und den Religionsunterricht vor neue Herausforderungen. Diesen kann man in einem inhaltlich und methodisch-didaktisch vielschichtigen Religionsunterricht begegnen (zu den Grunddimensionen und Grundaufgaben des Faches vgl. die Ausführungen auf der Homepage des CFG). Die neuen Kolleginnen und Kollegen, Herr Michael Gerl (seit dem Schuljahr 2006/7), Frau Beate Kariopp und Frau Andrea Spriestersbach (beide seit diesem Schuljahr) bereichern mit ihrem je eigenen und unterschiedlichen Erfahrungshorizont den Unterricht und die Fachschaftsarbeit durch ihre Ideen. Auch die Erfahrungen von Herrn Gerl und Herrn Glöckl als Praktikumslehrer mit den Studenten für das studienbegleitende Praktikum für Kath. Religionslehre, das in diesem Schuljahr neu am CFG eingerichtet wurde, können zur Horizonterweiterung dienen. Die beiden im Zuge der Reform der gymnasialen Oberstufe neu geschaffenen Seminarfächer, das wissenschaftsorientierte und das projekt- bzw. berufsbezogene, bieten gleichfalls Möglichkeiten zur Profilbildung des Faches. Dabei werden sicherlich z. T. unkonventionelle Wege beschritten werden müssen. Als Aufgaben für einen sowohl inhaltlich als auch didaktisch-methodisch vielfältigen Religionsunterricht kristallisieren sich u.a. folgende Bereiche heraus:

  • sich mit dem neuen Atheismus aktiv auseinanderzusetzen, indem man ihn vor allem hinsichtlich seiner ideologischen Denkvoraussetzungen kritisch hinterfragt;
  • behutsam und doch entschieden von der Mitte unseres christlichen Glaubens, d.h. der Reich-Gottes-Botschaft Jesu her Chancen und Gefahren der Wiederkehr spiritueller Bedürfnisse und Leitvorstellungen zu sondieren;
  • die höchst unterschiedlichen religiösen Bezüge aus der medial geprägten Lebenswelt der Schüler (Film, Musik, Werbung, Internet usw.) intensiv zu berücksichtigen;
  • alternative Unterrichtsmethoden wie Lernzirkel zur abwechslungsreichen Aneignung von Wissen voranzutreiben;
  • Kurzprojekte wie die gemeinsame klassenbezogene Entwicklung von Ausstellungen oder den Verkauf von Eine-Welt-Waren am Tag der offenen Tür – Dank gebührt für letzteres vor allen Dingen Frau Stangl -, die beide soziales Lernen und das karitative Wertebewusstsein fördern, durchzuführen;
  • Traumreisen und andere Meditationsformen als neue Erfahrungsmöglichkeiten für Schüler mit entlastender und aktivierender Wirkung zu entdecken;
  • die Schülerinnen und Schüler bei den Tagen der Orientierung im Kloster Ensdorf, die heuer wiederum sehr gut ankamen, zu begleiten;
  • nicht zuletzt die Möglichkeit zur Liturgie bei den Anfangs- und Schlussgottesdiensten und in der Freitagsmesse – bezüglich letzterer gilt unser besonderer Dank Herrn Winderl – anzubieten. Die Einbeziehung neuer geistlicher Lieder zur zeitgemäßen Verlebendigung ergibt sich hierbei als längerfristige Zukunftsforderung.

Was hat dies mit uns zu tun, mögen manche Eltern fragen. Ohne elterliche Rückbindung und Unterstützung kann auch der vielfältigste Religionsunterricht nur wenig fruchten. Eltern sollen ihren Kindern Vorbild nicht nur im Leben, sondern auch im Glauben sein, also auch religiöse Wegbegleiter nicht nur bei der ersten Hl. Kommunion und der Hl. Firmung, die in diesem Jahr wieder zahlreiche Schüler empfangen durften, sein. Ein kleiner Lesetipp in diesem Zusammenhang: In altersstufengerechter, vor allem ab dem frühen Gymnasialalter für Schüler und deren Eltern geeigneter Weise stellt das von Albert Biesinger und Helga Kohler-Spiegel herausgegebene Buch “Gibt´s Gott? Die großen Themen der Religion. Kinder fragen – Forscherinnen und Forscher antworten” (München 2007) existentielle Fragen zu Gott, der Bibel, den Wundern, Liebe, Tod, Krieg, Gewalt, freier Wille usw. . Auch eine Mutter unserer Schülerinnen, die gleichzeitig Theologin ist, ist daran beteiligt. Für interessierte Eltern ist das ebenfalls nicht in Theologensprache geschriebene und unterhaltsam zu lesende Werk des Psychiaters und Mitglieds des päpstlichen Laienrates Manfred Lütz “Gott. Eine kleine Geschichte des Größten” (München 2007) zu empfehlen. Nur im fruchtbaren Zusammenspiel von Eltern und Religionslehrerinnen bzw. Religionslehrern kann der Religionsunterricht einen Beitrag zur heute vielfach geforderten Werteerziehung leisten.

R. Glöckl

 

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