Am 1. Dezember 2006 war der 60. Jahrestag der Bayerischen Verfassung. Die Schulen sollten auf dieses Jubiläum gebührend eingehen. Aus diesem Grund gestaltete der Fachbetreuer zusammen mit der Kl. 10a zu diesem Zeitpunkt eine kleine Ausstellung in den Gängen der Schule, die u.a. folgende Texte enthielt:

 

“Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschluß, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung.” So lautet die Präambel, die Einleitung zur Bayerischen Verfassung. Am 1. Dezember dieses Jahres wird diese nun 60 Jahre alt, eigentlich besser gesagt jung, denn ihre Bestimmungen sind nach wie vor aktuell und sichern die freiheitliche demokratische Grundordnung des Freistaates Bayern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die fast drei Jahre später am 23. Mai 1949 mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gegründet wurde.
Diese Verfassung wurde in der Verfassungsgebenden Landesversammlung festgelegt. Die Bevölkerung Bayerns wurde aufgerufen, diese am 30.6.1946 zu wählen. Schwandorf gehörte damals zum Stimmkreis 10 Burglengenfeld im Wahlkreis Niederbayern/Oberpfalz. In der Stadt1 waren dabei 5417 Menschen wahlberechtigt. Diese geringe Zahl liegt darin begründet, dass Schwandorf ( vor allem durch die erst später erfolgten Eingemeindungen) damals wesentlich kleiner war, dass das aktive Wahlalter damals 21 Jahre betrug und dass viele ehemalige Nazis nicht wahlberechtigt waren. Jeder, der zur Wahl gehen wollte, musste zuvor einen Wahlfragebogen ausfüllen, worin er seine politische Vergangenheit im 3. Reich offen legen musste. Wenn er in dieser Hinsicht als Nazi sich bekannte, was kaum zu verleugnen war, wurde ein solcher von der Wahl ausgeschlossen. Wer keinen Fragebogen ausgefüllt hatte, durfte nicht wählen. Einige Schwandorfer kämpften erfolgreich um ihr Wahlrecht: “[…] war bisher nicht wahlberechtigt, weil er in seinem Fragebogen eine kommissarische Kameradschaftsführung von 3 – 4 Wochen im NS-Studentenbund angegeben hatte. Seinen Antrag begründet er damit, daß er von einer gegnerisch eingestellten illegalen Verbindung in die legale Vereinigung hineingeschickt wurde, um seiner illegalen Verbindung eine Art Rückendeckung zu verschaffen. Entschluß: Auf Grund der beigebrachten, glaubhaften Unterlagen und der enthaltenen eidesstattlichen Versicherung wird die Wahlberechtigung erteilt.” “Er war 20 Tage HJ – Hauptscharführer und wurde dann wegen Unzuverlässigkeit abgesetzt. Beschluss: Da die übrige Familie, insbesondere die Eltern des […] nicht als Nazis bekannt sind und auch […] selbst nicht nachgesagt werden kann, wird ihm Wahlberechtigung zugebilligt, zumal auch vom Landrat empfohlen wurde, bei Jugendlichen in der Beurteilung milde vorzugehen und den außerordentlichen Druck seitens Schule und Partei zu berücksichtigen.” “Im Fragebogen gab sie wahrheitsgemäß an �Leiterin der Schlichtungsstelle in der NSF’2, wozu sie mündlich die Angaben machte, sie habe hier Streitigkeiten der Frauen, und zwar nur der Mitglieder, zu schlichten gehabt. Entschluß: Da nichts über Frau […] bekannt ist, was auf besonders aktive Haltung hindeutet und die genannte Tätigkeit nur eine interne Tätigkeit in der NSF und kein ausgesprochen parteipolitisches Amt war, wird ihr das Wahlrecht zugebilligt.”3 Anderen Schwandorfern musste dagegen wegen erwiesener nationalsozialistischer Vergangenheit das Wahlrecht verweigert werden. Wer dagegen von der Spruchkammer bereits entnazifiziert worden war, nicht höher als als Mitläufer eingestuft wurde und dann sein Geldstrafe bezahlt hatte, war wahlberechtigt. Anders gelagert war es bei einem Mann, über den folgendermaßen berichtet wird: […] wiederholt seinen Antrag bei jeder Wahl und sucht glaubhaft zu machen, er sei politischer Sträfling gewesen. Daß dies nicht zutrifft, ist allen Herren des Wahlausschusses bekannt, denn die Beraubung von Feldpostpäckchen, der Grund für seinen Ehrverlust, ist ein kriminelles Vergehen, abgesehen vom moralischen Tiefstand der Straftat an sich, die keinerlei politischen Einschlag hat. Entschluß: […] ist vor Ablauf seines Ehrverlustes keinesfalls wahlberechtigt.” Das heißt also, der Betreffende war wegen seiner kriminellen Tat nicht wahlberechtigt, nicht aus politischen Gründen. Mit einer Verurteilung wurde damals zugleich das Wahlrecht entzogen.
Die staatlichen Behörden sorgten sich um die demokratische Mitwirkung der Bürger. Deshalb heißt es auch am 12.7.1946 im Amts-Blatt der Stadt Schwandorf: “Viel zu hoch ist immer noch die Zahl derjenigen, die bei den Wahlen beiseitestehen, wie eine Kontrolle der Einwohnerkartei ergibt. Alle diese Gleichgültigen werden hiermit erneut aufgefordert, den Wahlfragebogen auszufüllen, damit sie in die Wählerliste eingetragen werden können. Wer wahlberechtigt ist und nicht wählt, oder nicht einmal Schritte unternimmt, sein Wahlrecht zu bekommen, dokumentiert damit, daß er noch dem Hitlersystem nachtrauert und kein Interesse hat am politischen Wiederaufbau unserer Heimat.” An der Wahl, die ohne irgendwelche Beanstandungen verlief, nahmen von 5417 Wahlberechtigten immerhin 84,1 % (4558) teil, wobei die CSU 2199 Stimmen, die SPD 1818, die KPD 249, die WAV 98 und die FDP 41 Stimmen erhielt. Die gewählte Verfassungsgebende Landesversammlung arbeitete dann einen Entwurf für die neue Verfassung aus, über die dann das bayerische Volk entscheiden sollte.
Bei dem Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und bei der gleichzeitigen Wahl des Bayerischen Landtages am 1.12.1946 waren 713 Schwandorfer, 628 Männer und 85 Frauen, wegen ihrer Nazi-Zugehörigkeit von der Wahl ausgeschlossen. Das Gesetz regelte diesen Ausschluss vom Wahlrecht: “Art. 7 Ausgeschlossen vom Stimmrecht ist: 1. wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft steht, 2. wer rechtskräftig durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte verloren und sie bis zur Anlegung der Wählerlisten nicht wieder zurückerhalten hat. Dabei blieben die unter der nationalsozialistischen Herrschaft verhängten Urteile gegen Gegner des Nationalsozialismus außer Betracht. Art. 8 (1) Vom Stimmrecht sind ferner ausgeschlossen: 1. Personen in der zwangsläufigen Arrestkategorie6 mit Ausnahme solcher, die bereits enthaftet sind; 2. Personen, die in die NSDAP vor dem 1. Mai 1937 eingetreten sind und alle Aktivisten, die nachher beitraten; Amtsträger, Führer und Unterführer der Partei, die zu irgendeiner Zeit eingetreten sind; Angehörig der SS, die zu irgendeiner Zeit beigetreten sind; 3. Amtsträger, Führer und Unterführer der SA, Hitler-Jugend. Bund deutscher Mädel, NS-Studentenbund. NS-Dozentenbund. NS-Frauenschaft, NSKK7 und NS-Fliegerkorps, die zu irgendeiner Zeit beigetreten sind, 4. bekannte Nazifreunde und Mitarbeiter. (2) Personen, die nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 für entlastet erklärt worden sind oder die als Mitläufer befunden worden sind und ihre Buße vollständig bezahlt haben, sind stimmberechtigt. (3) Das Vorliegen der Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 wird auf grund von amtlichen Fragebogen festgestellt. Wer den Fragebogen nicht rechtzeitig bei der zuständigen Behörde eingereicht hat, darf nicht in die Wählerliste oder Wahlkartei aufgenommen werden.”8

Wahlberechtigt waren auch alle deutschen Flüchtlinge, die am Wahltag nachweislich mindestens ein halbes Jahr in Bayern wohnten, und alle inzwischen aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Einwohner, sofern sie vor der Einberufung in Bayern wohnhaft waren.9 Die Wahlkartei mit allen wahlberechtigten Bürgern Schwandorfs lag vom 10. bis 17. November im Wahlamt (Rathaus) zur Einsichtnahme auf. Einsprüche gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit konnten erhoben werden. Auch damals war es schon möglich, einen Wahlschein ausgestellt zu bekommen, wenn man am Wahltag aus zwingenden Gründen nicht zum zugehörigen Wahllokal (Stimmbezirk) gehen konnte, so dass man in jedem beliebigen Wahllokal wählen konnte. Die Wahlbeteiligung war mit 88,9 % sehr hoch, ein Traumergebnis, wenn man an jetzige Teilnahmezahlen denkt. Der Wahlvorgang verlief natürlich auch in Schwandorf am Sonntag, 1.12.1946, nach den amtlichen Vorgaben: “Von den erschienenen Abstimmenden begab sich jeder einzeln, nachdem ihm je ein amtlicher Stimmzettel für den Volksentscheid und für die Landtagswahl ausgehändigt worden war, in eine der Abstimmungsvorrichtungen, wo er unbeobachtet auf seinen Stimmzetteln seine Abstimmung kennzeichnete. Nachdem er seine Stimmzettel zweimal gefaltet hatte, so daß deren Inhalt verdeckt war, trat er sodann an den Vorstandstisch heran, nannte seinen Namen und auf Aufforderung seine Wohnung. Nachdem festgestellt worden war, daß der Abstimmende zu der Abstimmung stimmberechtigt war, nahm der Wahlvorsteher die Stimmzettel entgegen, stellte deren äußerliche Vorschriftsmäßigkeit fest, ohne sie zu öffnen und legte sie in die Wahlurne. Der Schriftführer vermerkte die Stimmabgabe, indem er neben den Namen des Abstimmenden in der Spalte 1 und 2 der Wahlkartei ein Kreuz machte.”10
Die Zahl der Wahlberechtigten betrug 5721. Beim Volksentscheid, bei dem die Frage lautete: “Billigen Sie die von der Verfassungsgebenden Landesversammlung beschlossene bayerische Verfassung?”, gibt – so die Wahlordnung – “der Abstimmende durch ein Kreuz oder auf andere Weise deutlich zu erkennen, ob er die gestellte Frage mit �Ja’ oder �Nein’ beantworten will.”11 Die Gemeinde war in zehn Stimmbezirke eingeteilt. Dabei wurden in Schwandorf 5086 Stimmen abgegeben, von denen 3354 mit “Ja” lauteten, 1088 mit “Nein”, während 644 Stimmzettel ungültig waren. Bei der gleichzeitigen Wahl zum Landtag erhielt die SPD 2177 Stimmen, die CSU 1863, die WAV 333, die KPD 295 und die FDP 92. Die Bayerische Verfassung war also genau wie im übrigen bayerischen Land mit großer Mehrheit angenommen worden, so dass sie am 2. Dezember 1946 in Kraft traten konnte. Auf dem Gebäude der bayerischen Staatskanzlei wurde nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses zum Volksentscheid in der Nacht von 1. auf 2. Dezember 1946 die weiß-blaue Fahne gehisst. Die Mittelbayerische Zeitung kommentierte dies am 3. Dezember des Jahres mit folgenden Worten: “Das bayerische Volk hat gesprochen. Mit einer Wahlbeteiligung von rund 76 %, die etwa 3 % über der Juni-Wahl lag, und die fast drei Millionen Stimmberechtigte an die Wahlurnen führte, wurde die Verfassung mit ungefähr 71 % aller abgegebenen Stimmen angenommen und der neue Landtag gewählt.”12

Quellenangaben:

1 Vgl. Stadtarchiv Schwandorf 00-004

2 NS-Frauenschaft

3 Stadtarchiv Schwandorf 00-004

4 Stadtarchiv Schwandorf 00-004

5 Amts-Blatt der Stadt Schwandorf v.12.7.1946

6 Politische Häftlinge in den Internierungslagern der US-Amerikaner

7 Kraftfahr-Korps

8 Gesetz betreffend den Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und die Wahl des Bayerischen Landtags. Published for the office Military Government of Bavaria, 1946

9 Amts-Blatt der Stadt Schwandorf v. 6.11.1946

10 Stadtarchiv Schwandorf 00-004

11 Landeswahlordnung vom 18. Oktober 1946. Published for the office of Military Government of Bavaria, 1946

12 Mittelbayerische Zeitung v. 3.12.1946

Text als PDF-Datei: Vor 60 Jahren: Auch Schwandorf stimmt am 1. Dezember 1946 mit gro�er Mehrheit f�r die Annahme der Bayerischen Verfassung(Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern und f�r Unterricht und Kultus)

OStR E. Zweck

 

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